Umgang mit Kreativität

Prof. Dr. sc. nat. Klaus Henning Busch
Die Kurzbiografie des Autors finden sie auf der Seite ‚Beitragsautoren

Meinung und Aussage zur Kreativität 4.0

Der Beitrag von VOLKER HEYSE liefert eine klare Analyse zur Entwicklung der Kreativität besonders im Zusammenhang mit der Industrie 4.0, und er zeigt gleichzeitig die Konsequenzen für alle damit verbundenen Bereiche auf. Kreativität ist zunehmend in allen Lebensbereichen erforderlich, um die Anforderungen der Zukunft erfüllen zu können. Zu diesen Bereichen gehören unter anderem die Politik, das Bildungswesen, die Gestaltung der Umwelt, das Gesundheitswesen, die Energieversorgung, die Wirtschaft, die Verwaltung, das Verkehrswesen, das Militär, die Gestaltung sozialer Strukturen und selbstverständlich die persönliche Lebensgestaltung. Zu betrachten sind u. a. die Fragen:

  1. Welchen Einfluss kann und muss die Kreativität auf diese Bereiche ausüben?
  2. Wie werden andere Bereiche künftig Einfluss auf die Zielstellungen, die Inhalte, die Methoden und Organisationsformen der kreativen Prozesse nehmen?

Zu.1.: Hierzu hat HEYSE in seinem Beitrag zahlreiche Antworten und Anregungen gegeben. Zu 2.: Dazu sollten wir erst den Prozess der kreativen Problemlösung näher betrachten. Prozess der Innovation Das kreative Hervorbringen von Innovationen ist ein Prozess, der hinsichtlich des Konfliktes zwischen dem zunächst vorhandenen Nichtwissen und dem zu erreichenden Wissen sowie dem widerspruchsgehäuften Weg dahin, eine Ähnlichkeit zur Dramaturgie im Theater, in der Literatur und im Film aufweist. Der bewusste Einsatz dramaturgischer Mittel im Problemlöseprozess weckt die Neugier und die Freude an der schöpferischen Arbeit. 

Der kreative Prozess lässt sich im Allgemeinen in die folgenden Arbeitsschritte (Operationen) gliedern:

  • Aufbereiten (Präzisieren) der Problemstellung
  • Erarbeiten (Ermitteln, Suchen) von Lösungsvarianten
  • Bewerten der Lösungsvarianten und Entscheiden für eine Variante oder für mehrere Varianten
  • Umsetzen (Realisieren) der Lösung

Das Hervorbringen von Ideen zur Lösung von Problemen verläuft nach Lohmann als heuristischer Prozess mit den Hauptschritten Präzisieren/Abstrahieren; Erinnern an Ähnliches und Anpassen der gefundenen Analoga an die Problemsituation. (Lohmann 1959/60)
Innovationsprozesse beginnen mit einer erkannten Problemstellung und sollen zu einer erfolgreichen Umsetzung der Idee auf dem Markt oder in der Institution selbst (intern) führen. Zwischen „Start“ und „Ziel“ findet ein (zuweilen dramatischer) „Hindernislauf“ statt, von dem zunächst lediglich bekannt ist, dass ein oder mehrere Widersprüche und Aufgaben zu lösen sind. Anforderungen an die „Macher“ Das bewusste Erkennen und Formulieren von Problemen ist generell von den Charaktereigenschaften, Motiven, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen abhängig. In gleichen Situationen reagieren Personen durchaus verschiedenartig.
In den häufigsten Situationen wird von vielen Personen kein Problem wahrgenommen, obwohl ein vorliegendes Bedürfnis einer Lösung bedarf. In den Fällen, in denen ein Bedürfnis erkannt wird, gibt es die Möglichkeiten, dass:

  • keine Reaktion ausgelöst wird (geistige Trägheit)
  • eine destruktive Reaktion erfolgt („Meckern“)
  • eine konstruktive Handlung initiiert wird.

Nur im letztgenannten Fall sind die subjektiven Voraussetzungen für das Formulieren und Lösen von Problemen gegeben. Folgende Voraussetzungen fördern das Erkennen von Problemsituationen:

  • die Motivation
  • das Infragestellen „bewährter“ Lösungen
  • das Erkennen von Widersprüchen
  • die Kenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung technischer und sozialer Systeme
  • die Kenntnis des internationalen Standes und des Trends auf dem eigenen und auf angrenzenden Fachgebieten einschließlich der Patentliteratur
  • die Kenntnisse über Schwach- und Starkstellen des betrachteten Systems
  • der Transfer von Erkenntnissen anderer Fachgebiete auf das eigene Arbeitsfeld
  • das Allgemeinwissen, das Interesse und die Aufgeschlossenheit.

Hilfsmittel und Anforderungen im Prozess

Für das Erkennen von Problemstellungen können zahlreiche Mittel und Methoden eingesetzt werden (vgl. Busch 2003):

  • die Expertenbefragung
  • das Auswerten von Forschungsergebnissen
  • die Prognosemethoden, Trendanalysen und die Hüllkurventheorie
  • die Systemanalyse, Funktionsanalyse und Prozessanalyse
  • die Technikfolgenabschätzung
  • die Wertanalyse
  • die Schwachstellenanalyse
  • die Kontrolllisten
  • das destruktive Brainstorming

Wichtige Operationen im Rahmen der Anwendung dieser Methoden sind das Analysieren, das Abstrahieren und das Antizipieren. Für das Erkennen innovativer Problemstellungen und das Herausarbeiten des Problemkerns ist es erforderlich, dass Fertigkeiten (nicht nur Kenntnisse!) im Umgang mit Systemanalysen und Prozessanalysen vorhanden sind. Vorteilhaft sind zumindest auch Kenntnisse über die Anwendung spezieller Verfahren – wie die Wirkungspfadanalyse und die Netzplantechnik. Diese Kenntnisse sind im Allgemeinen bei Hochschulabsolventen vorauszusetzen und im Bedarfsfall aufzufrischen.

Beachte: Jedes gelöste Problem und jede erarbeitete Lösung ist im Allgemeinen eine Quelle und Ausgangspunkt neuer Problem­stellungen. „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, heckt augenblicklich Junge.“  (Wilhelm Busch 1995) Nach jeder Problemlösung ist daher zu prüfen wie die gefundene Lösung auch auf andere Fälle und Gebiete übertragbar ist (Mittel-Zweck-Zusammenhang) und wie neu entstandene Folgeprobleme präzisiert und bearbeitet werden können.

Künftige Anforderungen an die Anwender solcher Hilfsmittel

Viele der traditionellen Methoden und Organisationsformen zur Erarbeitung von Innovationen genügen nur unzureichend den sich wandelnden Bedingungen für Innovationsprozesse. Diese sich verändernden Bedingungen zeigen sich besonders in folgenden Trends:

  • der Globalisierung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunikationssystemen
  • einer zunehmender Marktdynamik, mit verkürzten Produktzyklen und einer dynamischen Anpassung von Zielen für Neuentwicklungen an neue Situationen und sich verändernde Kundenwünsche und ein Eingreifen in laufende Innovations- und Gestaltungsprozesse
  • die Arbeit internationaler Forschungs- und Innovationsgruppen mit effektiver Medienunterstützung
  • die Arbeit in multidisziplinären Innovationsgruppen
  • die Verfügbarkeit aktueller wissenschaftlicher Ergebnisse
  • eine Beschleunigung technisch-technologischer Entwicklungen
  • die Verzahnung von industrieller Produktion mit modernen Informations- und Kommunikationstechniken in allen Phasen der Wertschöpfungskette
  • die stürmische Entwicklung besonders auf den Gebieten Gesundheitswirtschaft, Biotechnologie, Nanotechnologie, Medizintechnik, Kernfussionstechnik sowie künstlicher Intelligenz
  • die Nutzung neuentwickelter Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstände und Infrastrukturen.

Diese Tendenzen beziehen sich dabei nicht nur auf technische Gebiete sondern besonders auch auf Forschungsvorhaben, medizinische Diagnose- und Therapieprozesse und auf den militärischen Bereich. Gleichzeitig wirken sich besonders folgende Bedingungen auf die Effektivität von Innovationsprozessen aus:

  • Dem Erwerben von Methoden- und Sozialkompetenz und der Befähigung zum selbstgesteuerten Lernen wird in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (noch immer) nicht die erforderliche Bedeutung beigemessen.
  • Die Lernkultur und insbesondere die Lerninfrastruktur in den Unternehmen sind nicht oder nicht genügend auf das selbstgesteuerte, projektintegrierte Lernen ausgerichtet. ·       Eine externe Innovations- und Lernprozessunterstützung wird nur in Ausnahmefällen realisiert.
  • Die eingesetzten Lern- und Lehrmittel berücksichtigen noch nicht ausreichend die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnik (z. B. App, E-Book, interaktives Whiteboard, Multi-Touch-Table, multimedialer Lern- und Ausstellungsraum) und die sich ständig verändernden Anwendungsgewohnheiten für diese Techniken in allen Bevölkerungsgeschichten.
  • Der Transfer moderner Erkenntnisse der Bildungs- und Innovationsforschung erfolgt häufig nur in zeitlich begrenzten Modellprojekten.
  • Regionale Lernkulturen werden nicht bzw. nicht ausreichend in ihrer Komplexität und besonders in ihrer Wechselwirkung zu den betrieblichen Lernkulturen betrachtet.
  • Zunehmend können traditionelle Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen mit einer definierten Ausgangssituation für Innovationsprozesse, einer Zielstellung mit fest vereinbarten Zielparametern und einem vorherbestimmten Bearbeitungsprozess die wachsenden Anforderungen an Innovationsprozesse nicht immer erfüllen. 

Die Projektbearbeitung in „eingefahrenen Gleisen“ (by a team like horses and cart in deep wheel tracks with a professional coachman) ist nicht ausreichend effektiv. Es sind vielmehr flexible Arbeitsweisen erforderlich, die mehr dem Jagdverhalten von Rudeln (effectively hunt like a pack of wolves) ähneln, und in denen sich die einzelnen Gruppenmitglieder entsprechen ihrer speziellen Befähigung hochmotiviert, selbstständig, ·jedoch koordiniert handelnd und in ständiger Kommunikation miteinander effektiv an der Zielerfüllung beteiligen.

Neue Organisationsformen für Innovationsprozesse

Es besteht ein Widerspruch zwischen den Zielen und Inhalten der Innovationsprozesse und den traditionellen Methoden und Organisationsformen zur Erarbeitung von Innovationen. Neue Ziele und Inhalte erfordern die Anwendung adäquater Methoden, Organisationsformen und Kompetenzen. Für das Erarbeiten innovativer Lösungen und deren Umsetzungen auf dem Markt ist das Zusammenwirken von mehreren Akteuren in Innovations­gruppen in nahezu allen Fällen unverzichtbar. Eine Innovationgruppe ist eine Anzahl von Personen mit sich ergänzenden Kompetenzen, die in direktem Kontakt – oder über geeignete Medien verbunden – an solchen Neuerungen arbeiten, die einen Qualitätssprung in einem Entwicklungsprozess widerspiegeln. Eine multidisziplinäre Zusammensetzung mit unterschiedlichen sich jedoch ergänzenden Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist für das Erreichen origineller Lösungsideen und für eine allseitige Betrachtung der Wirkungszusammenhänge der Prozessumstände und des Prozessergebnisses einschließlich der Folgeabschätzung förderlich. (s. auch Heyse 1984; Busch 1993)

Literatur

  1. Busch, Klaus Henning und Krause, Siegfried: Praktische Verfahren für die Bearbeitung von Problemen. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 21. Jhg. 1973, Heft 3, S. 359 – 371
  2. Busch, Klaus Henning: Kreativitätstraining in der DDR In: Erfahrungen mit Erfinderschulen, DABEI-Materialien 9, Berlin/Bonn 1993, S. 116 – 127
  3. Busch, Klaus Henning: Innovationen erfolgreich realisieren   Erfinden lernen – lernend erfinden. trafo verlag Berlin 2003, ISBN 3-89626-451-6
  4. Busch, Wilhelm: Max und Moritz. In: Wilhelm Busch, Gesamtwerk in sechs Bänden, Weltbildverlag, Augsburg 1994, S.220
  5. Heyse, Volker (Hrsg.): Grundlagen des wissenschaftlich-technischen Schöpfertums in Forschungs- und Entwicklungsprozessen, Berlin und Jena 1984
  6. Heyse, Volker und Busch, Klaus Henning: Forschungsorganisatorische Aspekte interdisziplinärer Kollektive. Faktoren der Intensivierung der Forschungsarbeit in Gruppen. In: Materialien der wissenschaftlichen Tagung der Akademie der Wissenschaften am 24./25.11.1984 Kolloquien, Berlin 1986, Heft 50, S. 179 – 187
  7. Lohmann, Hans: Zur Theorie und Praxis der Heuristik in der Ingenieurer-ziehung In: Wissenschaftliche Zeitung der TH Dresden  9(1959/60)
  8. Lohmann, Hans: Ingenieurpädagogik (Vorlesung) TH / TU Dresden 1960 – 1965