Patente und Digitalisierung 4.0

Gibt’s in 30 Jahren noch Patente?
Ein Interview zwischen Prof. Dr. Klaus Stanke und dem Patentanwalt Ingo Weissfloh von der Patentanwaltskanzlei „Patentanwälte Ilberg & Weissfloh“ Dresden vom 16.09.2019.

Patentanwalt Ingo Weissfloh

Herr Dr. Weissfloh ist ein seit langem in der Praxis der Erfindertätigkeit tätiger Patentanwalt, der sich auch in den zutreffenden gesellschaftlichen Organisationen – so beim VIWT Sachsen (VEREIN DER INGENIEURE, TECHNIKER UND WIRTSCHAFTLER IN SACHSEN e.V) – engagiert. Er betreibt mit seinen Partnern die Patentkanzlei der „Patentanwälte ILBERG & WEISSFLOH“.“
Zum Thema der aktuellen und besonders der zukünftigen Entwicklungen des Patentwesens unter den Bedingungen von Kreativität 4.0, sowie der weiteren Digitalisierung der F/E-Prozesse gab Herr Weissfloh ein Interview, was nachfolgend wiedergegeben werden soll.

Stanke: Herr Weissfloh, herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag. Wir schließen uns den Glückwünschen des Vereins der Techniker und Wirtschaftler in Sachsen e.V. – Nachfolgeorganisation der Kammer der Technik der DDR – an, dessen aktives Mitglied Sie sind, und der den Glückwunsch in den INGENIEUR-NACHRICHTEN 4/2019 veröffentlicht. Wie geht es dem Patentwesen aktuell?

Weissfloh: Es läuft kontinuierlich, aber im internationalen Vergleich könnte / müsste es besser gehen. Wenn auch aktuell in Deutschland ca. 60000 Patente/a angemeldet werden, damit fast 20000 mehr als vor Jahren, darf nicht übersehen werden, dass das ehemals als „Abkupfer-Land“ betrachtete China einen gigantischen Wandel von der Imitation zur Innovation vollzogen hat und fortführt und jetzt ca. 25 (!) x soviel Patente/a anmeldet wie Deutschland: 1,38 Millionen (2017) und damit Japan 2010, die USA 2011, die EU schon 2005 überholte. Dabei macht nicht nur die Menge an wissenschaftlich Tätigen diese riesige Anzahl aus, sondern auch pro Kopf werden fast doppelt soviel Patente angemeldet wie in Deutschland. Das sich etwas näher anzuschauen, wäre schon ein Thema für sich, schon wie mit dieser Menge umgegangen wird, wie sie zustande kommt und was man davon lernen kann. Die Politik und Öffentlichkeit in Deutschland nehmen diese Entwicklung leider ungenügend zur Kenntnis.

Stanke: Bei der Kreativität 4.0 gehen wir von folgender der These aus. Sie bleibt menschgebunden wie bisher mit ähnlicher Unterstützung durch den Computer, allerdings mit höherer Intensität – weil immer mehr relevante Begleitprozesse für den Computer aufbereitet sind z. B. die Recherche zu dem vorhandenen Wissen (Patente, Wirkprinzipien, Lösungen für Teilprobleme,…). Gilt das für das Patentwesen analog?

Weissfloh: Ja, so stellen wir uns das auch für das Patentwesen vor. Der Erfinder wird und muss selbst recherchieren. Das wird er an seinem Computer machen und dabei auch selbstverständlich japanische oder chinesische Patente – die nicht alle in englisch vorliegen werden – erfassen. Hier hilft der Computer mit guten Übersetzungen, die dem Experten verständlich sind. Aber das Recherchieren bleibt beim Experten und hilft ihm beim Problemlösen. Insofern ändert sich an der grundlegenden Arbeitsweise des Erfinders/Ingenieurs in bezug auf das Patentwesen weniger durch die intensivere Rechnernutzung – es wird deutlich schneller und komfortabler werden – hoffen wir. Das muss den Studierenden schon klar gemacht werden, dass das Recherchieren bleibt.

Stanke: Wird es denn in 30-50 Jahren noch Patente geben?

Weissfloh: Nicht nur Patente, sondern auch die anderen Schutzrechte, die z. B. das Design schützen. Die Schutzrechte bleiben bedeutsam, weil sonst keiner mehr den immensen Aufwand leisten würde, der nötig ist, um das Produkt zu entwickeln und es marktkonform zu machen, einschließlich der vielen Nachweise, dass es ohne Probleme funktioniert und menschgerecht ist.

Stanke: Es gibt aber auch Aussagen, das Patentwesen ist so aufwändig und kostet viel Zeit: wir machen lieber Tempo und verzichten auf Patente.

Weissfloh: Das wird sich nicht durchsetzen. Die Piratenpartei forderte z.B. so etwas. Die wirtschaftliche Vernunft erfordert Schutzrechte für’s geistige Eigentum und das ist nötig und wird mit der Digitalisierung 4.0 sogar besser durchsetzbar werden, weil einfacher recherchierbar. Dieser ganze finanzielle Aufwand einer Neuentwicklung muss natürlich irgendwie abgesichert werden über Schutzrechte; sonst würde keiner mehr eine eigene Entwicklung mit viel Aufwand betreiben. Auch Tempo zu machen, kann eine Möglichkeit unter bestimmten Bedingungen sein. Ich habe selbst eine Erfindung angemeldet, bei deren Nichtanmeldung man wahrscheinlich nicht auf den Effekt des Patentes hätte kommen können. Eine österreichsche Firma hat davon Maschinen gekauft, diese zerlegt, ohne den Kern zu finden und kam dann zum Lizenzerwerb. Aber so was wird wohl eine Ausnahmesituation bleiben. Auch hier war das Patent der Schutz.

Stanke: Was wird denn nun in einigen Dutzend Jahren anders sein?

Weissfloh: Lassen Sie mich mit einem Vergleich antworten: Als vor 40 Jahren CAD-CAM in die Konstruktion einzog, hatten nun die Konstrukteure die Rechnerunterstützung z. B. dabei, zu prüfen wie und ob das Bauteil in das fertig gegossene Gehäuse, die Form passt. Sie bekamen es dargestellt, nicht nur auf der Zeichnung, konnten quasi schon testen, prüfen. So werden neue Möglichkeiten beim Entwurf, das Einfügen von Teillösungen u. a. neben weiteren Berechnungsmethoden auf dem Rechner Platz finden, die dann selbstverständlich genutzt werden. Gerade zur Verbindung mit der Fertigung sind Fortschritte zu erwarten. Analog ist es beim Anfertigen des Patent und der anderen Schutzrecht, deren Formulierung und Bestimmung des Schutzumfangs. Das Patent wird also bleiben. Es wird auch neue Berechnungsmethoden für den Entwurfsprozess geben, es werden z.B. Detaillösungen bereitgestellt – zugleich mit dem Hinweis dazu, es liegt der und der Schutz vor, und jetzt kann man daran gehen, diese Lösung neu zu gestalten. Ein Beispiel für den komplexen Charakter des gesamten Vorgehens: Wir haben für eine Elektromaschine eines Klienten für chinesische Abnehmer die technische Lösung unter Schutz gestellt. China baute eine Kleinserie nach – das Design 1:1 – war ja auch nicht geschützt. Die technische Lösung nahmen sie, und entwickelten sie weiter. Wenn es eine eigene Qualität ist, kein Problem, sonst kommt es zur Rechtsprechung, die immer zu dem komplexen Charakter hinzuzurechnen ist.

Stanke: Es gibt in einem sehr nützlichen Buch von Heister [siehe www.problemlösendekraetivität.de/Rezensionen] die Aussage, dass Deutschland technikfeindlich eingestellt sei und auch viele große Konzerne nicht sehr die Kreativität fördern, sondern sie lassen die Kleinen machen und kaufen die Erfolgreichen lieber auf. Das ist risikoärmer und bringt überschaubare Ergebnisse und nichts überraschendes, wie bei sehr neuartigen Ergebnissen, die ja so auch eine eigene Position gefährden könnten.

Weissfloh: Deshalb brauchen freie Erfinder auch künftig ihre Schutzrechte, wenn auch der Weg dahin sehr steinig ist.

Stanke: Brauchen wir künftig trotz oder dank der Digitaliserungsstufe 4.0 eine weitere Qualifizierung der Erfinder/Ingenieure für die Arbeit mit und an Patenten/Schutzrechten oder machen das die Rechner und Patentanwälte?

Weissfloh: Wir treten nicht nur im eingangs genannten Verein für die Qualifizierung zum Patentwesen ein, sondern lehren selbst an der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft zu Schutzrechten in der Ausbildung. Das ist ein nötiger und bleibender Bestandteil technischer Hochschulausbildung. Die Recherche nach Schutzrechten ist aufwändig! So was machen die jungen Leute heute nicht mehr gern! So ist das, aber da geht kein Weg daran vorbei. Hier muss die künftige Computerleistung mehr Unterstützung bringen. Heute schon kann man beim europäischen Patentamt alle Sprachen, auch griechisch geschrieben Patente übersetzt bekommen; das wird weiter gehen. Trotzdem muss in der Ausbildung noch viel nachgebessert werden.

Stanke: Werden wir künftig auch noch in Bibliotheken Patente nachlesen?

Weissfloh: Wohl eher nein! Der Homecomputer schafft für den Erfinder auch große Leistungen und kann sich in den Bestand der Bibliothek einkoppeln. Der begeisterte Erfinder braucht jederzeit Zugang unabhängig von Öffnungszeiten. Das wird und kann die künftige Technik schaffen – nicht so wie es mir vor wenigen Tagen ging, durch einen Bedienfehler fiel ich bei der Recherche raus und kam wegen Überlastung des Systems nicht wieder rein. Die Recherchesysteme müssen einfach besser werden. Jetzt bekomme ich schon auf mein Stichwort eine riesige Menge an Treffern und ich kann weiter verfeinern, damit es beherrschbar wird. Aber z.B. zum Stichwort „Asche“ hatte ich 0 Treffer, bis ich begriff, das heißt dort „Verbrennungsrückstände“, da gab’s massenhaft Treffer. Hier ist in Zukunft einfach mehr zu erwarten. Recherche hat noch einen Nachteil, wenn sie überwachbar oder kontrollierbar wird – auch an meinem Homecomputer. Es ist durch meine Recherchhe nachvollziehbar, woran ich arbeite. Da kann die neutrale Bibliothek wieder ein Ort der Wahl werden.

Stanke: Fassen wir zusammen: Die Recherche ist das A und O der Patentarbeit für den Ingenieur auch in Zukunft. Dazu muss er im Studium mehr hören. Die Hoffnung, mit Geheimhaltung und „erfindungshemmend die Produkte auf den Markt zu bringen“, ist trügerisch, um sich das Patent zu „sparen“.

Weissfloh: Ja. Die Patentflut der Chinesen kann für uns nur heißen; anmelden, anmelden, anmelden. Denn es kommt ja dazu, wenn es zum Streitfall beim nicht Angemeldeten kommt: wie entscheiden die Gerichte vor Ort. Natürlich ist ein Patent auch eine Offenbarung, aber mit Tempo bei der Entwicklung einfach mehr Schutz. Und mit einem Patent verhindere ich erstmal und einfach Schutzrechte Dritter. Das wird auch bei fortschreitender Digitaliserung so bleiben. Die Chinesen haben jedenfalls spät, aber beeindruckend die Bedeutung von Schutzrechten für ihre Zukunft erkannt.

Stanke: Ich bedanke mich für Ihre Aussagen und wünsche weiterhin eine erfolgreiche Patentarbeit zu gunsten Ihrer Klienten.

Dresden, September 2019