TRIZ am Wendepunkt

Dipl.-Ing. Dieter Skrobotz, Berlin
Die Kurzbiografie des Autors finden sie auf der Seite Über uns

TRIZ am Wendepunkt
Die aktuelle Situation bei der Weiterentwicklung von TRIZ (Stand Ende 2018)

TRIZ – Abkürzung d. russischen Originaltitels: teorija res’enija izobretatel’skich zadac; (Theorie zur Lösung von Erfindungungsaufgaben) ; ARIZ analog mit  A für  „algoritm“ „Algoritmus res‘enija …) 

Seit den 90’er Jahren wird versucht, die damals auch in der westlichen Welt bekannt gewordene “ Theorie zur Lösung erfinderischer Aufgaben (TRIZ)“ aus der ehemaligen Sowjetunion, als Kreativitäts-Methodologie weiterzuentwickeln. Die Lösung genau dieser Aufgabe ist aber trotz vielfältiger, weltweiter Anstrengungen bisher nicht gelungen.

Der folgende Artikel beruht auf einer 2018 erfolgten intensiven Auswertung von mehr als 100 Veröffentlichungen, Vorträgen, Anwendungsbeispielen und Originalquellen. Dabei wurde versucht, weitgehend neutral und mit möglichst wenig Vorbehalten und kritischen Ansätzen heranzugehen. Geholfen hat vor allem die Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel der Heuristik als allgemeinere wissenschaftliche Methodologie. (Die TRIZ betont selbst immer wieder ihre heuristische Arbeitsweise!).

1. Das aktuelle Potential der TRIZ als Kreativitätsmethodik

Kreativität als Grundlage der Schaffung von Neuem durch den Menschen, existiert – wie dieser selbst- nicht unabhängig von Zeit, Umwelt und Gesellschaft. Hilfsmittel und Methoden, welche für schöpferische Tätigkeiten genutzt werden, haben daher gleichfalls einen Lebenszyklus wie Technologien und Produkte. Sie werden heute als Bestandteil des Innovationsmanagements gesehen, also der systematischen Planung, Steuerung und Kontrolle der Entwicklung von Ideen und ihrer Verwertung in wirtschaftlich erfolgreichen Produkten und Dienstleistungen Zur Einschätzung des aktuellen Potentials von TRIZ als kreativitätsfördernde Erfindungstheorie ist sowohl eine Positionsbestimmung im eigenen Lebenszyklus, als auch eine Verortung in der Gesamtheit der aktuellen Verfahren und Trends zur Entwicklung von Innovationen notwendig.

1.1. Lebenszyklus-Analyse

Bei der Betrachtung des Lebenszyklus der TRIZ mit den Definitionen des ‚S-Kurven-Tools‘ (Eine Methodik des strategischen Innovationsmanagements, von TRIZ nur adaptiert!!), muss festgestellt werden: Das „neue Produkt“ TRIZ lag am Anfang seines Lebenszyklus, d.h. in den 50’er Jahren des 20.Jahrhunderts, als ein Verfahren vor, das von einem Grundkonzept, dem heute immer wieder beschworenen ‚TRIZ-Kern‘, ausging:

  1. Formulierung eines konkreten Problems in Form einer schematisierten Aufgabenstellung
  2. Wechsel auf eine abstrakte Ebene durch Umwandlung in eine Aufgabenstellung mit der Formulierung eines idealisierten Ziels der Problemlösung.
  3. Finden von sich widersprechenden Anforderungen an das Endergebnis, die das Erreichen des idealisierten Ziels mit bekannten Mitteln verhindern.
  4. Nutzen von Erfahrungswissen zur Suche nach Möglichkeiten für die Beseitigung der sich widersprechenden Anforderungen, und Formulierung eines realisierbaren Ziels
  5. Rücktransformation in die konkrete Ebene zu ausführbaren Lösungsschritten

Die Zahl der Innovationen für diesen ‚Kern‘ war niedrig, da er sich, bewusst oder unbewusst, an bekannten grundlegenden Prinzipien der kreativen Problemlösung orientierte. Das Niveau der Ideen war hoch, weil es sich im Bereich des Erfindungswesens und der Ingenieurwissenschaften um etwas grundlegend Neues handelte. Da es dabei um eine Innovationsmethodik unter den Bedingungen der ehemaligen Sowjetunion ging, bestand der ‚Gewinn‘,  der in dieser  aufstrebenden Phase des Lebenszyklus  normalerweise bereits erzielt wird, nicht in Profit, sondern in wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Anerkennung.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialistischen Systems folgte eine schnelle Phase der Entwicklung. Es wurde versucht, durch Adaption verschiedener Verfahren aus der Systemtheorie, dem Innovationsmanagement und der Kreativitätsforschung, das Niveau der Ideen des ‚Produktes TRIZ‘ weiter anzuheben. Altshuller selbst erkannte zwar aufgrund des nun freien Zugangs zu Informationen und zur weltweiten Wissenschaftstheorie, die Grenzen seines Konzepts, konnte aber bis zu seinem Tod nur noch wenig zur weiteren Entwicklung beitragen. Unter seinen Schülern sanken Zahl und Qualität der Erweiterungen und damit das Niveau, da in dieser Lebensphase und in dem nunmehr globalen, marktwirtschaftlichen Kontext (für welchen TRIZ nicht entwickelt wurde!), erwartet wird, dass ein Innovations-Tool vorrangig materielle Gewinne erwirtschaftet.

In der etwa 2006- 2010 anzusetzenden „Reifephase“ erreicht die Anwendungsfähigkeit, ebenso wie der Gewinn durch die Anwendung von TRIZ, ein Maximum. Es werden viele kleine Verbesserungen durchgeführt. Danach beginnt das „Produkt TRIZ“ zu veralten, und Reife, Zahl der Neuerungen und Weiterentwicklungen sowie deren Niveau nehmen ab.Einzelne Teile der Methodik werden, aus dem Zusammenhang gerissen, als innovative Lösungsverfahren angeboten. Das TRIZ-Label dient dabei als Legitimation für deren Allgemeingültigkeit.

1.2. Kompatibilität mit aktuellen Entwicklungstrends und Kreativitätstools

In der heutigen Informationsgesellschaft mit Nachhaltigkeitsbestrebungen, allgemeiner Verfügbarkeit von Informationstechnik und -Technologien,  komplexen Systemen in allen Lebensbereichen, Künstlicher Intelligenz, einer ausgeprägten Innovationskultur in der Gesellschaft, mit Innovationstheorien und Werkzeugen des Innovationsmanagements, ist die klassische TRIZ zu einer, für viele schwer verständlichen, ein eng begrenztes Feld im technisch-technologischen Bereich betreffenden Methodik geworden.

In Veröffentlichungen zu Kreativitätstechniken, wird sie nur sehr selten erwähnt, und wenn, dann meist als nicht verallgemeinerungsfähig und zu hoch in ihren Ansprüchen an den Anwender. Andererseits gibt es bereits ausgelotete Möglichkeiten, die TRIZ gemeinsam mit anderen aktuellen Kreativitätstechniken, wie z.B. Design-Thinking zu nutzen. (Hentschel+Czinki). Auf jeden Fall muss festgestellt werden, daß die TRIZ, offensichtlich wegen zu geringer Neigung ihrer Community zur gleichberechtigten Eingliederung in die Welt der aktuellen Innovations- und Kreativitätstechniken, für die überwiegende Zahl der potentiellen Anwender nicht zur ersten Wahl gehört.

Zusammenfassend ergibt sich: Die TRIZ in der bisherigen Form, mit ihrem gegenwärtigen Selbstverständnis und mit der aktuellen Anwendungs-Strategie, ist, obwohl das viele ‚Experten‘ nicht wahr haben wollen, am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten angelangt! Das „Produkt“ TRIZ benötigt, entsprechend der S-Kurven Analyse dringend einen ‚Sprung in eine neue Technologie‘!  

2. Bewertung der aktuellen Bemühungen um Weiterentwicklung

Bereits seit den 90’er Jahren gibt es Ansätze, die TRIZ weiterzuentwickeln und an die aktuellen Erfordernisse anzupassen. Hinweise dazu sind in einer Vielzahl von Veröffentlichungen zu finden. Dabei muss festgestellt werden, dass Vorschläge für disruptive Veränderungen, die zu einer grundsätzlich neuen Qualität der Innovationsmethodik TRIZ führen würden, bisher nur unzureichend entwickelt wurden.

Große Teile der TRIZ-Community verstehen ihre Methodologie aktuell als:  „… umfangreicher Methodenbaukasten mit einer wachsenden Sammlung unterschiedlicher Arbeitsweisen zur erfolgreichen kreativen und innovativen Ideengenerierung.“ (Dr. Robert Adunka, Vizepräsident der MATRIZ für Europa, Geschäftsführer der TRIZ Consulting Group GmbH in: www.triz-consulting.de/)

Ein solches Konzept beruht offensichtlich auf der Auffassung, man könne durch Anreichern der Landschaft um den TRIZ-Kern mit weiteren Modulen und der Einbeziehung von Methoden aus anderem Kontext eine qualifiziertere Ideengenerierung erreichen. Wie der mangelnde Erfolg solcher Bemühungen zeigt, ist diese Strategie aber nicht zielführend.

Ohne die grundsätzliche Abkehr von der Philosophie ‚Verbiegen bis es passt‘ , und ‚Das kann man doch auch noch damit machen‘ sowie: ‚Man muss nur richtig geschult sein, dann wird man erfolgreich damit sein‘ wird sich daran auch nichts ändern. Auf diese Weise werden keine alten und neu entstandenen Widersprüche im bisherigen Konstrukt von TRIZ ernsthaft zu finden und zu formulieren sein. Sie verhindert vor allem, ein ‚Ideales Endresultat‘ einer weiterentwickelten Kreativitäts-Technologie überhaupt anzudenken. Andererseits gibt es auch eine Reihe von begrüßenswerten Aktivitäten, die, ausgehend vom TRIZ-Kern, das Problem der anstehenden „Eingliederung in ein irgendwie geartetes ‚Super-System‘ (Altshuller) kreativ angehen. Exemplarisch kann hier der Versuch eines, vom Institut für Informatik der Universität Leipzig betreuten, Innovationsnetzwerks Mitteldeutschland genannt werden [http:// leipzig-netz.de/index.php5/WUMM], welcher sich das Ziel gesetzt hat“ in mehrfacher Hinsicht deutlich über den Altshullerschen TRIZ-Ansatz hinauszugehen“.

Die als „Kern der Umsetzung von TRIZ“ bezeichneten Widersprüche und Kreativitäts-Management-Methodiken werden im aktuellen Kontext der Vernetzungsmöglichkeiten des digitalen Wandels einer entwickelten Informationsgesellschaft gesehen. Unter dem Label WUMM wurde von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe in diesem Netzwerk die bisher vorrangige Orientierung der TRIZ auf eine Theorie des Lösens von Erfinderaufgaben verlassen. Der propagierte erweiterte Ansatz stellt komplexe Innovations- und Managementszenarien in Unternehmen, und damit den gesamten Innovationsprozess mit der Lösungssuche als Teilbereich in den Mittelpunkt.

Die WUMM Initiative tritt eindeutig gegen „TRIZ-Communities mit … Schließungsansätzen“, also das bisherige elitäre Selbstverständnis vieler TRIZ’niks auf, und sieht sich einer Open Culture verpflichtet, in deren Rahmen ein öffentlich unter klaren Creative Commons Lizenzen verfügbarer Bestand von Materialien, Texten und Werkzeugen aufgebaut werden soll. Besonders hervorzuheben bei dieser Initiative ist die fundierte wissenschaftliche Herangehensweise an die Grundlagen einer weiterentwickelten TRIZ. Zu diesem Zweck wird die in der Geschichte der TRIZ oft vernachlässigte philosophische Grundlage des Begriffes „Widerspruch“ anhand der grundlegenden Arbeiten von Thiel hinterfragt und damit dem strukturierten, widerspruchsorientierten Denken ein belastbarer Ansatz gegeben.

3. Die notwendige neue strategische Ausrichtung von TRIZ

Wie gezeigt, versucht eine weiter erstarkende, inzwischen weltweite Community, die – um im Denkmodell der klassischen TRIZ zu bleiben –  „wesentliche Verbesserung durch die Eingliederung in ein irgendwie geartetes ‚Super-System‘ als eines seiner Teile“ möglich zu machen. Allerdings fehlt hier ein grundlegender Ansatz, da sich bisher niemand die Mühe macht, das Bestehende, etwa in der oben angedeuteten Weise einer Lebenszyklus-Betrachtung, oder einer grundlegenden Anforderungsanalyse an moderne Innovationstechnologien zu unterziehen. Eine darauf basierende Mängelanalyse für die TRIZ in ihrer Gesamtheit zu erstellen und daraus eine fundierte Strategie zur Weiterentwicklung abzuleiten, ist unter Beibehaltung des geschilderten falschen Selbstverständnisses der ‚TRIZniks‘ daher offensichtlich nicht zu erwarten.

Für eine neue strategische Ausrichtung der TRIZ sollte berücksichtigt werden: – Was bedeutet in der heutigen Informationsgesellschaft eigentlich der Begriff „Ideales Produkt“? Für die aktuelle Situation, dass Funktionen sowohl durch Hard- als auch Software realisiert werden können, sich ihre Zuordnung hierzu während des Lebenszyklus eines Produktes ändern kann und im Laufe der ‚Erhöhung der Idealität‘, Funktionen, z.B. durch implementierte künstliche Intelligenz ‚von selbst‘ entstehen oder verändert werden, kann man die klassische TRIZ mit ihrem nicht mehr aktuellen Idealitätsbegriff nicht mehr ‚verbiegen‘.

Der systemtheoretische Ansatz aus der Zeit Altshullers bildet die Komplexität der heutigen Systemlösungen in der Gesellschaft nicht mehr ab. Im Internet der Dinge, mit Industrie 4.0, Open Innovations und Künstlicher Intelligenz, liegt ein völlig anderer Kontext für Innovationen vor.

Auf Veranstaltungen, wie der erst kürzlich stattgefundenen ‚TRIZ future Conference 2018‘ wird zwar intensiv nach Ideen und Strategien für ein neues innovatives Arbeiten und Problemlösen in diesen Bereichen gesucht; der oben erwähnte, dringend notwendige umfassenden Ansatz für ein reales Updating der bisherigen Theorie zu einer Kreativ-Methodologie, die heutigen Ansprüchen genügt, muss aber noch gefunden werden. Stattdessen werden Entwicklungstrends aus anderen Bereichen kritiklos übernommen. So wird nicht davor zurückgeschreckt, auch autonom arbeitende Strukturen für möglich zu halten, welche ohne menschliches Zutun Probleme lösen und Erfindungen generieren können (Zitat aus der Veranstaltungsankündigung der ‚TRIZ future Conference 2018‘: ‚….künstliche oder automatisierte Erfindungen‘)!

Die heutige, allgegenwärtige Komplexität von Systemlösungen nach Altshuller über die Anwendung des „Zwergenmodells“ zu reduzieren, um Systeme handhabbar zu machen, erzeugt in der Fachwelt lediglich ein müdes Lächeln. Andere Ansätze zur Komplexitätsreduktion in der TRIZ sind in ihren Anfängen steckengeblieben, oder dem heutigen kreativen Denken mit seiner Fokussierung auf IT-Systemlösungen so fremd, dass sie nicht verstanden werden können (z.B. das bisherige Denken in Stoff-Feld-Kategorien!). Positiv ist, dass es aktuelle Bestrebungen gibt, das in seinen Ansätzen durchaus interessante Modellierungssystem der TRIZ zu ‚entschlacken‘ und zu modernisieren (z. B. den ‚Feld‘- Ansatz wesentlich klarer, und nicht so ‚hinge-trimmt‘ zu definieren, oder den Begriff ‚Feld‘ in diesem Zusammenhang überhaupt zu vermeiden).

„Die Invention Machine Corporation, [einer der TRIZ-Pioniere in den USA, d. A.] hat bereits in den 90’er Jahren die Verwendung der Substanz-Feld-Analyse in ihrer späteren Software aufgegeben und einen rein funktionalen Analyseansatz gewählt, der die standardisierte Funktionssprache der künstlichen Intelligenz verwendet.“ [Kowalick 1999]

Es gibt, außer der dem ‚TRIZnik‘ antrainierten Verwendung von Lösungs-Analogien anhand von Anwendungsbeispielen, keine Einbindung von Erkenntnissen der modernen Entscheidungstheorie für die notwendigen vielen Schritte bei der Auswahl und Weiterverfolgung von Denk- und Lösungsansätzen während einer TRIZ-Anwendung.

Eine ‚moderne‘ TRIZ müsste den ‚menschlichen Faktor‘ und sein Entscheidungsverhalten im Prozess der Lösungsfindung unbedingt mehr berücksichtigen!

Methoden aus der Kreativitätsforschung, die den Menschen mit seine Fähigkeiten und Mängeln als Träger des innovativen Prozesses betrachten, sind bisher nicht ausreichend in der TRIZ implementiert, obwohl Altshuller in seinen letzten Lebensjahren versucht hat, in dieser Richtung neue Möglichkeiten zu erschließen. Inzwischen laufen erste grundlegende Arbeiten dazu (z.B. TRIZ FUTURE CONFERENCE 2015: Creativity, Learning Techniques and TRIZ vonTiziana Bertoncelli, Oliver Mayer, Mark Lynass).
Dieser Bereich müsste unbedingt intensiver behandelt werden, denn die fehlende, allge-meinverständliche Methodik wird aktuell am häufigsten kritisiert.

Ein besonderes Problem ist die aus den langjährigen Weiterentwicklungs- und Anpassungsversuchen resultierende mangelnde Konsistenz zwischen den einzelnen Teil-Methodiken. So wird in erstaunlich vielen Publikationen beklagt, dass TRIZ übermäßige Redundanz und inkonsistente Details in seinen Tools hat, wobei als besonders störend empfunden wird, dass daraus methodisch nicht erklärbare, störende Verknüpfungen zwischen den einzelnen Verfahren entstehen. Dieser Sachverhalt initiiert bis heute eine Unzahl von Versuchen zur Reduzierung und Vereinfachung des Gesamtsystems und seiner Teile, oft mit heftigen Reaktionen in der TRIZ-Community. Eine ‚Transformation in die übergeordnete Systemebene‘, wie sie die Heuristik bietet, wäre hier überaus hilfreich und würde die Kräfte endlich auf die kreative Entwicklung einer neuen Methodologie bündeln – Ursprung und Hauptanwendungsgebiet der TRIZ ist das Patent- und Erfindungswesen. Auf diesem Gebiet ist aber im Zeitalter der Globalisierung inzwischen ein stark veränderter Kontext zu berücksichtigen: „Angst vor Patenten zu haben ist offensichtlich nicht unberechtigt. In den missbräuchlichen Auswüchsen des Patentsystems sieht (man)…, die größte Bedrohung für den innovativen produzierenden Mittelstand.

Ein wirksamer Rechtsschutz gegenüber der Patenterteilung fehlt. Taktierer und Trolle führen das Patentsystem ad absurdum. Patentinhaberfreundliche Verletzungsurteile ergehen zu oft, ohne die patentgerichtliche Validierung abzuwarten. Diese widerruft häufig Patente wegen fehlender Neuheit oder mangelnder erfinderischer Höhe, erklärt damit ihre Erteilung für nichtig und deklassiert ein zuvor ergangenes Verletzungsurteil als Fehlurteil.

Das beschlossene neue europäische Patentsystem bestehend aus dem neuen Einheitlichen Patentgericht und dem Patent mit einheitlicher Wirkung, bietet zwar die Möglichkeit der Vereinheitlichung von Verletzungs- und Überprüfungsverfahren, wird aber mit seinen Wahlmöglichkeiten und Optionen das Patentsystem noch komplizierter machen und spezialisierte Anwälte erfordern, d.h. auch die Kosten erhöhen. Das alles wird dem Mittelstand nicht gerecht, der sich, gemessen an den Anmeldezahlen im Verhältnis zur Großindustrie, weiter aus dem Patentsystem zurückzieht, damit aber in ein gefährliches Abseits gerät.

Mehr als 50% der Patentanmeldungen entfallen auf nur 3% der Anmelder als Konzerne. Selbsthilfe und Schutzmaßnahmen sind gefragt, die darauf abzielen, das Risiko des Angreifers aus zweifelhaften Patenten deutlich zu erhöhen. Innovation braucht insbesondere im produzierenden Mittelstand mehr denn je „Freedom to Operate“ und keine Behinderung durch zudem oft zweifelhafte Patente, die zu einer Patentflut anschwellen oder Patentdickichte bilden. Zweifelhaft, da die derzeitige Vernichtungsrate vor den Einspruchs- und Patentgerichten zwischen 30 und 70% auffallend hoch ist, d.h. „jedes zweite erteilte Patent ist potenziell rechtswidrig“.

Einer Bedrohung durch Patente kann kein Hersteller aus dem Weg gehen, der seine Produkte beispielsweise im Internet weltweit bewirbt. Damit ist sein Produkt am Ort der Bewerbung aus dort geltenden Patenten angreifbar. Wer darauf setzt, die Angriffe vor Gericht abzuwehren oder das Patent zu vernichten, braucht einen langen Atem und kann in der Zwischenzeit sein Produkt praktisch nicht vermarkten. Jedenfalls droht bei gerichtlicher Niederlage Unterlassung und Vernichtung von Waren neben Schadensersatz beispielsweise in Form der Herausgabe des Unternehmergewinns.“ (Zitat aus:  Patentverwertung: Lizenzmodell oder Schutzgelderpressung? Innovativem Mittelstand droht der GAU / Dr. Heiner Flocke, patentverein.de e.V./ März 2018)

Für die TRIZ hat sich also auch das gesamte Wirkungsfeld geändert! Was aber ist die Reaktion auf diese Entwicklung in der Community? Es wird versucht, die Notbremse zu ziehen, indem vom TRIZ Journal angekündigt wird, eine frei zugängliche „Datenbank der Ideen“ ins Netz zu stellen, die dann „Durch die Veröffentlichung … (entsprechender) … Neuerungen in der Datenbank … die Verwendung des Patents für die Einschränkung der weiteren Entwicklung unbrauchbar macht, da es nun ‚Stand der Technik‘ ist und (seine Ideen) öffentlich zugänglich sind.“  (In: TRIZ Journal, 20.01.2019)!

Abgesehen von der Fragwürdigkeit, mit Wistleblower-Manieren gegen ein Heer von Juristen zu gewinnen, die Firmen in Patentverwertungs- und Innovationsverhinderungsfragen beraten und vertreten, zeigt sich hier, wie sehr es aktuell an Ideen fehlt, die TRIZ wirklich kreativ weiterzuentwickeln. Mit solchem Aktionismus und einer derartigen Selbstüberschätzung stellt sie sich noch mehr ins Abseits der heutigen Kreativwirtschaft. Es muss endlich aus der bisherigen evolutionären Weiterentwicklung von TRIZ ausgestiegen werden, und  der entscheidende  revolutionäre Schritt in eine neue Dimension des modernen, kooperativen Zusammenwirkens verschiedener Akteure bei der innovativen Lösung von Problemen unserer heutigen Zeit getan werden.

Thesen für die Weiterentwicklung von TRIZ

Geht man von den bekannten Schritten eines kreativen Prozesses aus, so sollte jetzt bei der Weiterentwicklung der TRIZ die Phase einer neuen Zielbildung angegangen werden! Die Anstrengungen im Sinne neuerlicher Updatings durch „Sammlung von Methoden“ oder die Herauslösung von Einzelmodulen, die dann als neuartige TRIZ-Anwendung bezeichnet werden, müssen aufhören. Nicht die bisher betriebene Erweiterung und ‚Umpressung‘ für andere Bereiche ist zielführend, sondern die klare Formulierung von Anforderungen an eine zeitgemäße Kreativitäts-Methodologie als Focus der weiteren Erneuerungsbestrebungen: Entwicklung eines methodischen Kerns mit eindeutigen Handlungsschritten und -Alternativen. Weitgehend formalisiert, aber auf den menschlichen kreativen Prozess zugeschnitten, nicht auf eine gut vermarktbare Anwendungssoftware oder exklusive Dienstleistung. Seine Zielfunktion muss eindeutig die Gebrauchstüchtigkeit in der Praxis, ohne langwierige Schulungen und Elitenbildung sein. Entwicklung eines Open-Frameworks unter Einbeziehung des methodischen Kerns, welches Module zur Organisation des kreativen Prozesses, Hilfsmittel und Strategien für die Entscheidungsfindung an wichtigen Punkten im Prozessablauf, sowie Strukturen und Verfahren zur Ideenfindung und –bewertung enthält. Letztere müssen nicht, wie heute noch üblich, als Kern des Problemlösungsprozesses, sondern als Hilfsmittel zum strukturierten Denken verstanden werden. Nicht ein vom Anwender nach eigenem Gutdünken genutzter Baukasten, sondern ein methodischer Kontext, der ihn im Innovationsprozess unterstützt, muss das Ziel sein.

Wie das in etwa aussehen könnte, hat Zobel in seinen Arbeiten mehrfach angedeutet. Die Kernelemente der TRIZ betreffend, machte er tragfähige Vorschläge zu einer Hierarchie beim Verwenden der Widerspruchsmatrix, einer neuen Sicht auf die Umkehr- und Analogieeffekte, für die Berücksichtigung üblicher Verhaltensweisen von Konstrukteuren aus der heutigen Praxis, und formulierte die Forderung, das Problem zunächst unter dem Aspekt der zu gewährleistenden Funktion zu analysieren. Besonders hervorzuheben ist sein Verweis darauf, dass eigentlich bekannt sein dürfte, dass die TRIZ im Grunde auf der Hegelschen Dialektik (These – Antithese – Synthese) beruht und daher die Besinnung darauf zum ‚Sprung in eine neue Qualität‘ gehört. Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Kreativitätsfähigkeit von Personen durch Bildung, Ausbildung und Schulung.

Auf der Grundlage weiterentwickelter kognitiver Fähigkeiten, einem breiten Wissen um menschliche Fehler und Verhaltensweisen in Problemlösungs-Prozessen, den aktuellen Erkenntnissen zur Entscheidungsfindung, inzwischen verfügbarer Kenntnisse zu erweiterten Fähigkeiten beim Umgang mit Informationsprozessen, sowie einer kritischen, selbstreflektierenden Arbeitsweise, müssen neue kreative Persönlichkeiten entstehen.
Die bisherigen hoffnungsvollen Ansätze, bereits im Kindesalter solche Persönlichkeiten zu entwickeln, müssen unter dem Gesichtspunkt des lebenslangen Lernens auf alle Altersgruppen erweitert werden.

Abkehr von der immer noch auf Trainig an Fallstudien orientierten TRIZ-Ausbildung. Stattdessen Orientierung auf eine Didaktik, bei der „die Teilnehmer echte Probleme und gestalterische Herausforderungen in die Schulung einbringen und Lösungskonzepte hinterlassen – oft patentierbar.“ (Kowalick 1990!)).

Aufgeben der Graduierung von TRIZ-Absolventen und TRIZ-Praktikern. Dieser, für Viele sicher unpopuläre Schritt, ist notwendig, um die inzwischen verbreitete Auffassung in der TRIZ-Communitiy, es handele sich bei der Anwendung ihrer Methodologie um elitäres Spezialwissen, zu beenden.

Die Graduierung suggeriert, dass die TRIZ nur von einer besonders trainierten Persönlichkeit mit spezieller ‚gehobener persönlicher Kreativität‘ (Kowalick) erfolgreich angewandt werden kann, was einer der Hauptgründe für das immer noch mangelnde Interesse in der Fachwelt ist. Zudem ist das Graduierungsverfahren schon deshalb fragwürdig, weil es prinzipiell nicht möglich ist, die Kreativität einer Persönlichkeit so zu klassifizieren.

Kreative Fähigkeiten sind vom zu lösenden Problem und seiner Formulierbarkeit, vom Kontext vor, im und nach einem Lösungsprozess, und von jeweiligen zeitlichen Befindlichkeiten der agierenden Person abhängig. Ein verliehener TRIZ Titel ist im Grunde genommen ein reines Marketing-Instrument, und garantiert nicht, dass dessen Träger in jedem konkreten Anwendungsfall der Methodik als Ideen- und Lösungsfinder leistungsfähig ist, und nicht etwa versagt.

Die TRIZ muss sich davon lösen, sich als die Krone der Kreativitätstechniken zu verstehen. Sie stellt zweifellos eine wichtige Methodologie für Problemlösungs-prozesse dar. Ihre ‚basics‘, wie die Fokussierung auf die Formulierung und Beseitigung von Widersprüchen, oder die Orientierung auf Verfahren, die gezielt den Suchraum nach Informationen zum zu lösenden Problem erweitern, auch die vorhandene heuristische Komponente – die Orientierung an bisher erfolgreichen Lösungsprozessen – sind es wert, in einer zukünftigen Innovations-orientierten Gesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen.

Die alles integrierende ‚einzig wahre‘ Methodologie, die Manche in  ihr sehen, wird sie allerdings nie werden. Kreativität beruht auf Vielfalt, und dem Verlassen bisheriger Denkweisen. Eine Kreativitäts-Methodik, zu deren erfolgreicher Anwendung man eine spezielle Denkweise benötigt, die jeder Anwender sich aneignen muss, um erfolgreich zu sein, wird sich nicht generell durchsetzen.

Das wir heute, im Zusammenhang mit dem Innovationsmanagement, von der ’systematischen Planung, Steuerung und Kontrolle der Entwicklung von Ideen und ihrer Verwertung‘ sprechen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tools und Methodologien immer nur als Hilfsmittel für das kreative Denken dienen können, z.B. indem wir ihm damit eine Struktur geben.

Die vorhandenen Tendenzen, sich letztendlich als allgemeine Wissenschaftstheorie zu verstehen (im „Body of Knowledge for Classical TRIZ“ wird immer wieder der Begriff einer eigenen Wissenschaft, oder wissenschaftlichen Disziplin verwendet!) müssen aufgegeben werden. Es ist gefährlich, in der heutigen Zeit Gesetzmäßigkeiten der Systementwicklung, der Evolution technischer Systeme und der Entwicklung schöpferischer Persönlichkeiten, die in den 60’er, 70’er u. 80′ Jahren des vorigen Jahrhunderts in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld formuliert wurden, als wissenschaftlich fundierte Prognosewerkzeuge kritiklos zu übernehmen! Die dafür benötigte Linearität der gesellschaftlichen Entwicklung hat es nie gegeben, was spätestens seit der Wende und der globalen Verschiebung der Kräfte klar sein sollte!

Altshuller ist mit der Weiterführung von bisherigen Ansätzen dazu logischerweise in seinen letzten Jahren gescheitert. In einem Zeitalter, welches von Open Innovation und der Fokussierung auf die kollektive, interdisziplinäre Lösung von Problemen bestimmt ist, müssen nicht nur größere Teams an einer Aufgabenstellung arbeiten, sondern auch mehrere Verfahren im Lösungsprozess benutzt werden.

Die TRIZ darf sich also nicht elitär abkapseln, sondern muss den Schulterschluss mit weiteren Kreativitäts-Tools, den Kognitionswissenschaften, der Psychologie, dem Innovationsmanagement, und anderen relevanten Partnern, nicht als Sammler und Nutznießer, sondern als eigenständiger Entwickler neuartiger Methoden und Strategien zur Entwicklung kreativer Ideen eingehen.

Quellen, die zu dieser Einschätzung beigetragen haben, sind u.a.:

  • James Kowalick, President, Renaissance Leadership Institute Problem-Solving Systems:Was kommt nach TRIZ? (What’s Next after TRIZ?) The TRIZ Journal, On 10, Mar 1999
  • Oliver-Frederic-Dieck Kritik und Erweiterung der Triz Methodik zur Erfindung ( german ) / enlarged by O.F.D/In : http://www.oliver-frederic-dieck.com/ Veröffentlicht am 17. März 2015
  • Dipl.Kffr.Larisa Zaburdaewa und Dr.rer.nat.habil. Dietmar ZobelTRIZ-Schlüssel zum Erfolg oder Luftblase? / In: www.triz-online.de/uploads/media/artikel_2006_03_01.pdf
  • D. Daniel Sheu Body of Knowledge for Classical TRIZ / On 01, Oct 2007 /In: https://triz-journal.com/body-of-knowledge-for-classical-triz
  • Dr. Manz und Dr. Voit  „Die interdisziplinäre Anwendung der TRIZ Philosophie“ six steps to innovation/ Projektarbeit im Fach „Technologie- und Innovationsmanagement“ an der Fachhochschule Vorarlberg, eingereicht bei. vorgelegt von Eckehard Fend, Martin Fussenegger, Richard Karlinger, Markus Kurz, Brigitte Sappl, Michael Thomas/ FH Dornbirn/ im Juli 2003
  • Y. B. Karasik/Contradictions Between Expectations/Anticipations and Results/Reality/  Thoughts Guiding Systems Corp., Ottawa, Canada./In: http://www3.sympatico.ca/karasik/issue_9_7.html
  • Gaetano Cascini TRIZ-based Anticipatory Design of Future Products and Processes/ Article in: Journal of Integrated Design and Process Science/ January 2012
  • Bernhard Irrgang Von der technischen Konstruktion zum technologischen Design. Philosophische Versuche zur Theorie der Ingenieurspraxis/  / Reihe Technikphilosophie/ Bd. 22 ISBN  3643105126 (pbk.)
  • Gül Kremer et. al. Systematic Ideation Effectiveness Study of TRIZ/ /Article (PDF Available) in Journal of Mechanical Design 135 · October 2013
  • L.Shub Vorsicht, Widerspruchmatrix ! Wie viele Eltern hat die TRIZ?/ / Carl Hanser Verlag München, 2007/ in: www.qm-infocenter.de/QZ-archiv
  • Victor Fey Why does TRIZ fly, but not soar? (WARUM FLIEGT TRIZ, STEIGT ABER NICHT?) Die TRIZ-Gruppe/ fey@trizgroup.com / Keynote auf der ETRIA World Konferenz TRIZ Future 2004, in Florenz, Italien am 4. November 2004.
  • C., Hammer, J., Brem, A., & Lindemann, U Crisis Situations in Engineering Product Development: A TRIZ based approach/Muenzberg, C., Hammer, J., Brem, A., & Lindemann, U./ (2016). Procedia CIRP, 39, 144-149. DOI: 10.1016/j.procir.2016.01.18
  • Claudia Hentschel , University of Applied Sciences HTW Berlin, Treskowallee 8, 10318 Berlin Alexander Czinki University of Applied Sciences Aschaffenburg, Würzburgerstr. 45, 63743 AschaffenbDesign Thinking as a door-opener for TRIZ  – Paving the way towards systematic innovation -urg WUMM: Grundsätzliches und Philosophie : http://leipzig-netz.de/index.php5/WUMM.Hintergrund
  • Rainer Thiel, Storkow Hegel, Altschuller, TRIZ , LIFIS-ONLINE [25. 09. 2016] www.lifis-online.de ISSN 1864-6972
  • D. Zobel, Kreatives Arbeiten. 1. Aufl. 2007
  • Expert-Verlag Renningen: Systematisches Erfinden. 5. vollst. überarbeitete und erweiterte Aufl. 2009
  • Expert-Verlag Renningen: D. Zobel und R. Hartmann, Erfindungsmuster. 2. Aufl. 2016
  • Expert-Verlag Renningen: D. Zobel, TRIZ FÜR ALLE. 4. überarbeitete und erweiterte Aufl. 2018
  • Expert-Verlag Renningen: D. Zobel, Verfahrensentwicklung und Technische Sicherheit in der Anorganischen Phosphorchemie. 2. überarbeitete und wesentlich erweitere Aufl. 2018 Expert-Verlag Renningen: © D. Skrobotz 09/2018; 02/2019