Kreativität in Vergangenheit und Zukunft

Dipl.-Ing. Dieter Skrobotz
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Kreativität 4.0

Kreativität ist die intellektuelle Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu, originell und dabei nützlich oder brauchbar ist. [1][2] Faktenwissen und methodisches Wissen, sowie die Fähigkeit zur Wissensanwendung in der Praxis, sind dabei entscheidende Grundbausteine. 

Problemlösende Kreativität orientiert sich an der Notwendigkeit, faktisches und methodisches Wissen anzuwenden, um Ziele in der Praxis zu erreichen, die mit herkömmlichen Methoden nicht erreichbar sind. Das Schaffen von Neuem besteht hier in der Formulierung des Ziels als Problem und im Entwickeln von alternativen Ansätzen zu seiner Lösung. 

Kreative Arbeitstechniken und innovative Denkwerkzeuge sind die Grundlage des methodischen Wissens zur Kreativität. Bisherige Ansätze dafür gehen meist von dem Postulat aus, dass dem Finden von Neuem eine erhebliche Zufallskomponente innewohnt. Viele Kreativitätstechniken beschränken sich daher auf das Sammeln von möglichst vielen Fakten und Ideen zur Problemlösung. Durch die Einbeziehung mehrerer Akteure und die Nutzung und Erweiterung des Suchraums wird versucht, neue originelle Denkanstöße, Einfälle und Lösungsansätze zu finden. Die richtige Analyse und Bewertung der entstehenden großen Zahl von Ideen und die Auswahl einer davon als Lösung ist bei dieser Herangehensweise der kritische Punkt. 

Problemlösende Kreativität nutzt dagegen einen systematischeren Weg. Mit Methoden des strukturierten Denkens wird das Problem genauer definiert, zielgerichtet nach Eingangsinformationen für den kreativen Prozess gesucht und ein Lösungsverfahren entwickelt. Der zeitliche Rahmen bis zur Lösungsfindung wird dabei in den meisten Fällen verkürzt und der Aufwand verringert. 

Kreativität sollte immer praxisbezogen sein. Das Schaffen von etwas Neuem bedeutet, gleichzeitig die Frage nach seinem Nutzen zu beantworten. In diesem Sinne ist Kreativität eng mit der Entwicklung der Produktivkräfte in einer Gesellschaft verbunden. 

Die in den letzten Jahren als Industrielle Revolutionen definierten Entwicklungsetappen der Wirtschaft sind daher auch durch jeweils typische Formen von Kreativität gekennzeichnet. 

Als Industrielle Revolution bezeichnet man umwälzende gesellschaftliche Erscheinungen, die eine generelle Veränderung der Denkstile bezüglich der weiteren Entwicklung von Technik und Industrie und ihrer Rolle in der Gesellschaft bewirken. In der Folge setzt sich ein neuer Konsens bezüglich der zu verfolgenden Entwicklungsziele durch. Im Verlauf einer Industriellen Revolution spielt die Kreativität der an der Veränderung der Denkstile Beteiligten, eine wesentliche Rolle.          

Die erste industrielle Revolution bestand in der Einführung mechanischer Produktionsanlagen Ende des 18. Jahrhunderts. Hauptenergielieferant war nicht mehr der Mensch sondern Wasser- und Dampfkraft. Bisher manuelle Arbeiten wurden mechanisiert, die Herstellung von Kleinserien und Serien wurde begonnen. Der Wandel von der bisherigen Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft wurde eingeleitet. 

Die zweite industrielle Revolution bestand in der Einführung der arbeitsteiligen Massenproduktion von Gütern mit Hilfe von Fließbändern seit der Wende zum 20. Jahrhundert. Die Produktion wurde erstmals als Prozess verstanden, der einschließlich notwendiger Transporte organisiert werden muß. Hauptenergeilieferant wird die elektrische Energie. 

Die noch andauernde dritte industrielle Revolution verändert die Arbeitswelt durch den Einsatz von Elektronik und Informationstechnologien (IT). Produktionsprozesse werden mit Hilfe von programmgesteuerten Robotern weitgehend automatisiert. Die Prozeßstruktur verliert ihre Ortsbezogenheit und wird in arbeitsteilige Fertigungsschritte aufgeteilt, die an einem beliebigen Ort in der Welt stattfinden können (Globalisierung). 

Der Kern der beginnenden vierten industriellen Revolution („Industrie4.0“) ist die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien. Es werden weitere Möglichkeiten für die intelligente Vernetzung erschlossen: flexible Produktion, wandelbare Fabrik, kundenzentrierte Lösungen, optimierte Logistik, umfassender Einsatz von Daten, ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft. 

Der Mensch lernt, mit der künstlichen Intelligenz von Maschinen, Anlagen und Systemen umzugehen. Die Arbeitswelt ändert sich dramatisch. Ganze Berufsgruppen verschwinden und neue entstehen. Die Struktur des Einkommens der arbeitenden Bevölkerung verändert sich grundsätzlich. 

Diese gegenwärtige Einteilung der industriellen Entwicklung in 4 historisch belegbare revolutionäre Phasen, (Industrie 1.0 bis Industrie 4.0) bedeutet auch, daß 4 Etappen der Kreativität (Kreativität 1.0 bis Kreativität 4.0) unterschieden werden können, die jeweils typische Paradigmen bei der Entwicklung von Neuem haben. 

Unter Einbeziehung der vorindustriellen Phase ergibt sich folgende Strukturierung: 

Kreativität 0.0: Vorindustrielle Phase 
Zeit: Altertum bis frühes Mittelalter 

Von der Kirche als bestimmendem Kulturträger wird Inspiration in Form von göttlicher Eingebungdefiniert, die ausgewählten Individuen zuteil wird, wodurch diese Neues, auch im Bereich der materiellen Güter schaffen können. 

Kreativität 1.0: 
Zeit: Spätes Mittelalter bis Zeit der Aufklärung 

Handwerkliches Fachwissen und technologisches Grundwissen zur Verknüpfung von Arbeitsschritten bilden die Grundlage für die Schaffung von etwas Neuem im Bereich der materiellen Güter. 
Experimentieren unter Anwendung von ‚Versuch+Irrtum’ ist die vorherrschende Methode. Individuelles Erfahrungswissen erscheint wichtiger als Faktenwissen. 

Kreativität 2.0: 
Zeit: Ende des 18. Jahrhunderts bis letztes Viertel 20. Jahrhundert

Naturwissenschaftliches Fachwissen löst die führende Rolle des Erfahrungswissens ab. Neues entsteht vorrangig durch die systematische Anwendung von Wissen aus den Bereichen der Physik (Mechanik, Wärmelehre, Magnetismus), der Chemie und Elektrotechnik, der Wirtschaftswissenschaften. Die Ingenieurwissenschaften entstehen. Faktenwissen steht im Vordergrund (Humbold’sches Bildungsideal). 
Die Bedeutung von methodischem Wissen wird noch nicht ausreichend erkannt. In der Praxis erworbene Berufserfahrung, gepaart mit naturwissenschaftlichem Grundwissen, gilt als ausreichend. 

Kreativität 3.0: 
Zeit: Letztes Viertel 20. Jahrhundert bis heute 

Fachwissen auf den Gebieten der IT-Technologien, der Elektronik, der Nutzung von Digitaltechnik, der Automatisierung, der Ingenieurwissenschaften, der Robotik, ergänzt das naturwissenschaftliche Grundwissen, das dadurch unberechtigterweise an Bedeutung verliert. Systemtheorie und Kybernetik liefern Wissensbausteine zum Verständnis und zur Weiterentwicklung komplexer Strukturen. 
Die Bedeutung methodischen Wissens wird erkannt, und spielt eine ständig wachsende Rolle in Praxis und Ausbildung. Strukturiertes Denken wird ein wichtiger Bestandteil kreativer Prozesse. 

Kreativität 4.0:  Zeit: Beginnend im 21. Jahrhundert 

Fachwissen ist über digitale Medien mit der gesamten Palette an Wissensbausteinen aus allen Gebieten weltweit und jederzeit verfügbar. 
Methodisches Wissen gewinnt besonders bei Zugangstechnologien zu Wissensbasen, ihrer Nutzung, und der Verifizierung von Informationen an Bedeutung. 
Die Entwicklung von Neuem ist fast nur noch kollektiv möglich, wodurch sich Denkstile sowie die Haltung zu geistigem Eigentum und seiner wirtschaftlichen Verwertung fundamental verändern. 
Der Mensch lernt, Kreativität arbeitsteilig mit Maschinen anzuwenden. Menschliche Intelligenz als bisher einzige Grundlage, wird durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen ergänzt. Die Maschine ist in den kreativen Prozess eingebunden, übernimmt Teilstrecken, die vorgegebene methodische Ablaufkontrolle, bewertet Teillösungen u. a. m. Die Kreativität verliert ihren Charakter als ausschließlich dem Menschen vorbehaltenes Phänomen. 

Der intellektuelle Kern der Kreativität, die nicht als Algorithmus formulierbare, oft auch nicht rational erklärbare Intuition und das Erkennen und Verstehen des Neuen, bleiben weiterhin dem Menschen vorbehalten. Ethische und moralische Prinzipien finden bei der Entwicklung von Neuem in hohem Maße Berücksichtigung. 

Überfachliche Schlüsselkompetenzen treten in den Vordergrund. Das strukturierte Denken und seine Innovations- und Gestaltungsfähigkeit orientiert sich an der Offenheit für Veränderungen, der Problemlösungsfähigkeit und der Eigenverantwortung der Akteure. Dialogfähigkeit, Belastbarkeit, Werteorientierung, Teamfähigkeit, Verständnisfähigkeit, fachübergreifendes Wissen, werden wesentliche Bestandteile einer Persönlichkeit in allen Schichten der arbeitenden Bevölkerung, 

Quellen: 

[1] Mark A. Runco, Garrett J. Jaeger: The Standard Definition of Creativity. In: Creativity Research Journal. Band 24, Nr. 1, 1. Januar 2012, ISSN 1040-0419, S. 92–96, doi:10.1080/10400419.2012.650092. 

[2] Mumford, Michael (2003): Where have we been, where are we going? Taking stock in creativity research, in: Creativity Research Journal, 15, S. 107–120. 

© D.Skrobotz 

27.11.2018